Peter Anders

Bei einem Überholmanöver auf dem Weg von Hannover nach Hamburg geriet in einer Kurve das schwere Mercedes-300-Cabriolet ins Schleudern, überschlug sich und zerschellte an einem Telegraphenmast. Dies Geschah am 5. September in der Nähe von Soltau, auf der Bundesstraße 209 bei Willingen. Überhöhte Geschwindigkeit und riskantes Fahrverhalten als Unfallursache, so der damalige Polizeibericht. Der Beifahrer, ein Hamburger Kapellmeister, erlitt schwere Verletzungen, der Fahrer jedoch, der Tenor Peter Anders, starb fünf Tage später, am 10. September 1954, im Hamburger Hafenkrankenhaus. Bei seinem letzten Konzertauftritt hatte Peters Anders noch als Abschiedszugabe noch die Arie des Johnson aus Puccinis „Mädchen aus dem Goldenen Westen“ gesungen: „Lasset sie glauben, ich sei als freier Mann in die Welt gezogen.“

Das Entsetzen in der deutschen Musikwelt war groß, denn wie kaum ein anderer Künstler verkörperte Peter Anders das Lebensgefühl der 50er Jahre mit seiner all seiner ungezügelten Wirtschaftswunder-Euphorie. Auch Peter Anders profitierte seit Ende des Kriegs von der Wirtschaftseuphorie der 50er Jahre. Ihm stand die ganze Welt offen: Einladungen nach England, Pläne für Italien und Frankreich und eine geplante Amerika-Tournee. Doch seine Leidenschaft für schnelle Autos, seine omnipräsente Mobilität in dieser dynamischen Zeitspanne des Wiederaufbaus, setzten seinem Tatendrang ein jähes Ende.

Peter Anders hatte den Nerv seiner Zeit getroffen. Seine Stimme, sein ganzes Wesen strahlte Optimismus aus – und vielleicht ist es dies, was ihn zum Sänger-Mythos des Nachkriegs-Deutschlands werden ließ.

Der plötzliche Tod Anders ließ eine der glanzvollsten deutschen Tenor-Stimmen der letzten Jahrzehnte verstummen. Peter Anders wurde am 1. Juli 1908 als Sohn einer Beamtenfamillie in Essen geboren. Aber bald siedelte die Familie nach Posen um. Schon früh zeigt sich bei Peter Anders die musikalische Begabung. Mit zwölf Jahren bekommt er den ersten Geigenunterricht und tritt als Knabensopran in den Kirchenchor ein. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Posen polnisch wird, flieht die Familie nach Berlin. In dieser Stadt mit den drei weltberühmten Opernhäusern, die der junge Anders häufig besucht, fasst er den Entschluss, Sänger zu werden.

Doch zunächst muss der ambitionierte junge Mann, dem später die Türen zu den Opernhäusern Europas offenstehen, Umwege in Kauf nehmen. Er erlernt einen „anständigen“ Beruf und wird Bucherrevisor. Musik betreibt er vorerst nur als Hobby, so nebenbei mit einem Freund. Dann, mit zwanzig Jahren, wird es ernst: Peter Anders nimmt Gesangsunterricht. Er begegnet dem bekannten Berliner Stımmpädagogen Professor Ernst Grenzebach (von dem übrigens auch Alexander und Max Lorenz unterrichtet wurden). Nach zwei Jahren Studium bei Grenzebach tritt Peter Anders noch in die Opernklasse der Berliner Musikhochschule ein. Mit ihm lernen, Elisabeth Hongen und Maria Cebotari. Aber nicht nur für Peter Anders Karriere als Sänger werden hier die Weichen gestellt. Er lernt in der Opernklasse auch seine spätere Frau Susanne Gmeiner kennen, die Tochter der damals vor allem als Liedersängerin berühmten Altistın Lula Mysz-Gmeiner. Diese große Pädagogin gibt Peter Anders den letzten Schliff. Zunächst sang er jedoch im Chor. Entdeckt wurde Peter Anders dann von Max Reinhardt, dem die ungewöhnlich schöne Stimme im Chor auffiel. Dann begann die anfänglich bescheidene Karriere. 1932 wurde er als Buffotenor an das Stadttheater Heidelberg engagiert. Der Pedrillo in der „Entführung aus dem Serail“ und der Jaquino im „Fidelio“ waren seine ersten Rollen. Von Heidelberg, wo Peter Anders nur eine Saison tätig war, führte der Weg an das Darmstädter Theater. Dort blieb Peter Anders zwei Jahre, dann wurde er nach Köln engagiert. Aber nicht mehr als Buffo, sondern als lyrischer Tenor. Die nächste Station vor dem großen Aufschwung war Hannover, wo Peter Anders Gelegenheit hatte, sein Repertoire zu erweitern.

1938 war ein für die Karriere von Peter Anders ein entscheidendes Jahr. Clemens Krauss holte sich den jungen Tenor an die Staatsoper nach München. Von hier aus begann die glänzende Karriere des Peter Anders, die ihn schließlich an die Berliner und an die Wiener Staatsoper führte. In Berlin traf peter-anders-smallAnders 1940 auf ein Ensemble, wie es sich ein Sänger nur wünschen konnte. Um ihn herum waren weltberühmte Sänger, wie Marcel Wittrisch, Franz Völker, Helge Rosvenge und Max Lorenz. In Berlin wurde Peter Anders vorwiegend noch im lyrischen Fach eingesetzt. Als Tamino und Belmonte, aber auch schon als Alfred in „La Traviata“, als Herzog in „Rigoletto“, Linkerton in „Madame Butterfly“ und als Rudolf in „La Bohème“.

Schon damals zeichnete sich ab, dass sich für Peter Anders neue Möglichkeiten im heldischen Fach ergeben würden. Seine Stimme bekam immer mehr heldischen Glanz. Aber Peter Anders war klug genug, sich nicht zu schwere Partien aufzuladen. Überhaupt gab und gibt es wenige Sänger, die ihre Kräfte und Möglichkeiten so ökonomisch einzuteilen wussten, wie Peter Anders. Der Cavaradossi in „Tosca“ ebenfalls eine seiner Glanzpartien blieb für ihn vorerst die Grenze. In Berlin und in Dresden, wo Peter Anders in der Folgezeit öfters gastierte, blieben ihm die lyrischen Rollen vorbehalten, darunter zahlreiche seltener gespielte Werke wie „Casanova in „Murano“ (Lortzing) und „Das Herz“ (Pfitzner). 1939 studierte Clemens Krauss die „Daphne“ von Richard Strauss neu ein. Anders sang die Partie des jungen Hirten Leukippos – eine Leistung, die ihm die Widmung des Komponisten eintrug: „Meınem hinreißenden Leukippos“. In Daphne standen mit ihm Maria Cebotari, Torsten Ralf und Josef von Manowarda auf der Bühne. 1943 wirkte Peter Anders erstmals auch bei den Salzburger Festspielen mit. Unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm sang er zusammen mit Maria Reining und Ludwig Weber in der „Zaubeflöte“.

Der Karriere von Peter Anders wären nun keine Grenzen mehr gesetzt gewesen, wenn nicht der Zweite Weltkrieg seine Schatten über die Opernhäuser Europas geworfen hätte. Aber nach Kriegsende war Peter Anders gleich wieder in der vordersten Reihe. lm Berliner „Admiralspalast“ gab es die ersten zwei Premieren mit Peter Anders: „Rıgoletto“ und „Die Entführung aus dem Seraıl“.

Nach der Blockade Berlins nahm Peter Anders schließlich ein Engagement nach Hamburg an. Dort begann er nun mit den heldischeren Partien: Alvaro in „Macht des Schicksals“, Florestan in „Fidelio“. Schließlich folgte der Don Jose in „Carmen“ und als besonders bedeutsames Ereignis seiner Karriere – der „Othello“ in der gleichnamigen Oper von Verdi. Sein Rollendebut mit dieser Partie kam einer Sensation gleich. Niemand hatte dem lyrischen Tenor diese heldische Kraft zugetraut. Aber die zunächst zweifelnden Kritiker sprachen schließlich von der „Gewalt eines „Naturerlebnisses“. Unter der schauspielerischen Führung durch den damaligen Hamburger Intendanten Gunther Rennert wandelte sich Peter Anders auch zu einem großartigen Darsteller. Weitere heldische Partien folgten: Vor allem der Stolzing in den „Meistersingern von Nürnberg“, eine Partie, die Anders auch in London unter Leitung von Sir Thomas Beecham sang. Gastspiel um Gastspiel schloss sich an: Edinburgh, Wien, Berlin, Hamburg. Und Peter Anders wagte sich bis zu den schweren Wagner- Rollen (Siegmund) und zu den heldischen Partien der italienischen Oper (Andrea Chenıer, Canio) vor. Und dies alles mit so großem Erfolg, dass man schon vom kommenden Lohengrin und Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen sprach.

Die Karriere von Peter Anders stand noch nicht auf ihrem Zenit, als er mit dem Auto verunglückte und wenige Tage später seinen schweren Verletzungen erlag. Geblieben ist die Erinnerung an eine unvergängliche Stimme des letzten Jahrhunderts, einen zu berückender Intimität fähigen Liedersänger und an einen liebenswürdigen humorvollen Menschen.

„Peter Anders besaß als einer der ganz wenigen Künstler das Geheimnis des Außergewöhnlichen, das sich nicht erlernen lässt.“ Diese Worte sprach der Regisseur und Intendant Gunther Rennert am Grab von Peter Anders, am 10. September 1954.

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