In den ersten zwei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts war es kein geringes Wagnis, eine Sängerkarriere mit dem Namen „Kraus“ zu beginnen. Die Bayreuther und Münchener Festspiele hatten die Namen Felix von Kraus und Max Krauß, stimmgewaltige Vertreter der tiefen Männerstimmen, über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht, und gar für einen aufstrebenden Tenor mußten die renommierten Heldentenöre Ernst Kraus aus Berlin und Siegmund Krauß in Wiesbaden eigentlich Grund genug sein, sich einen anders lautenden Künstlernamen zu suchen. Fritz Krauß, ein Vierteljahrhundert gefeierter Startenor der Münchener Oper, scheint solche Bedenken zu Beginn seiner Karriere nicht gekannt zu haben. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben, obwohl er gerade in München manche Rolle des vorangegangenen Namensvetters Ernst Kraus zu singen hatte, der zu seiner Zeit als der Siegmund, Stolzing und Tannhäuser galt. Die grundlegenden Unterschiede jedoch, die trotz des teilweise gleichen Repertoires zwischen Fritz Krauß und Ernst Kraus bestanden, waren schließlich entscheidend für die langwährende Beliebtheit des wesentlich vielseitigeren und flexibleren Fritz.
Am 16. Juni 1883 wurde er in Lehenhammer in der Oberpfalz geboren, fast auf den Tag genau zwanzig Jahre später als der aus Erlangen stammende Ernst Kraus. Frühzeitig begann er mit dem Gesangsstudium, das ihn zunächst auf das Baritonfach hinzuführen schien. Nach intensiver Arbeit in München, Berlin und Mailand stellte sich jedoch der wahre Charakter seiner Stimme heraus, und 1911 debütierte er als lyrischer Tenor am Stadttheater von Bremen. 1912 wird Krauß nach Danzig engagiert, nach zwei Jahren geht er an die Oper in Kassel. Seine Leistungen hielten sich bis dahin in den Grenzen des in Deutschland immerhin beachtlichen Mittelmaßes. Bis zu diesem Zeitpunkt genießt Krauß allenfalls lokale Beliebtheit. Auch sein Engagements Gastspiel am Kölner Opernhaus in der Partie des Manrico in Verdis „Troubadour“ findet kaum mehr als freundliche Kritik. Der Kölner Operndirigent Gustav Brecher aber und sein Direktor, der ehemalige Bayreuther Heldentenor Fritz Rémond, erkennen die bisher noch nicht entwickelten Fähigkeiten des jungen Tenors. Krauß wird 1915 Mitglied des Kölner Ensembles, und er enttäuscht seine Förderer nicht. ln den nächsten sechs Jahren entwickelt er sich zu einem der führenden jugendlichen Heldentenöre Deutschlands.
Seine internationale Karriere beginnt mitseiner Verpflichtung an die Bayerische Staatsoper in München. Am 18. Januar 1921 gastiert er zum ersten Mal im Nationaltheater als Raoul in Meyerbeers „Hugenotten“, als Rudolf in „La Bohème“, Manrico im „Troubadour“ und Florestan in Beethovens „Fidelio“ stellt er seine immense Vielseitigkeit unter Beweis und wird sofort engagiert. Während der Münchener Festspiele 1921 wird er als Hüon, Don Ottavio und Ferrando eingesetzt. 1922 ist er auch bei den Salzburger Festspielen als Ferrando zu hören. Seine Münchener Festspieltätigkeit ist nun schon auf 7 Rollen angewachsen. Mit dem Sommer 1923 ist er für die nächsten zwei Jahrzehnte seiner Laufbahn für kein Festspiel mehr frei, so sehr man sich in Salzburg und Bayreuth auch um seine Mitwirkung bemüht. Fritz Krauß ist zu einer Institution des Münchener Nationaltheaters geworden, er ist unentbehrlich. Seine Gastspielreisen außerhalb Deutschlands sind dementsprechend mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sie konzentrieren sich weitgehend auf den süddeutschen Sprachraum. Die Wiener Staatsoper lernt Krauß in den wichtigsten Rollen seines sehr ausgedehnten Repertoires von 1921 an regelmäßig kennen, noch 1939 war er dort zu Gast. Für kurze Zeit gelingt es auch Bruno Walter, ihn mit an die Berliner Städtische Oper zu nehmen. Bei der festlichen Eröffnungsaufführung der Ara Walter in Berlin singt Krauß am 18.September1925 den Stolzing. Neben den Partien des laufenden Spielplanes sind die Premieren von „Don Pasquale“, „Die Entführung aus dem Serail“ und „Euryanthe“ noch heute in Berlin unvergessen. Unter Bruno Walter tritt Fritz Krauß 1926 und 1927 auch an der Covent Garden Opera in London auf. Seine Rollen sind dort Don Ottavio, Belmonte und Florestan, nachdem sein Debüt am 12. Mai 1926 als Stolzing von Presse und Publikum enthusiastisch aufgenommen worden war und die „Times“ in ihm den lange gesuchten „echten Tenor“ und nicht einen „hochgezogenen Bariton“ begrüßte.
Die folgenden Jahre beschränken seine Tätigkeit mehr auf den mitteleuropäischen Raum. Zu Beginn der dreißiger Jahre hat er sein Repertoire um die großen Wagnerpartien mit Ausnahme des Siegfried und Tristan erweitert. In Deutschland ist er bis zum Ende seiner Karriere im Jahre 1940 vor allem durch seine Darstellung des „Tannhäuser“ berühmt. 1933, zu den Festaufführungen zum 50. Todestag Wagners, gastiert er in dieser Partie in der Wagner- Hochburg Dresden, in Wagners Geburtsstadt Leipzig und außerdem an der Berliner Staatsoper, in Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf und Köln sowie an den großen Opernbühnen in Spanien, Frankreich und Belgien. lm Jahre 1943 beendet Krauß seine aktive Bühnenkarriere. Unter den deutschen Tenören seiner Zeit war Fritz Krauß einer der vielseitigsten, der die extremsten Rollen seines umfangreichen Repertoires mit der gleichen Virtuosität bewältigte. Er war beispielhaft sowohl als Wagner- als auch als Mozartsänger, konnte in den exponierten Partien der italienischen Oper ebenso brillieren wie in den elegant-verspielten der französischen Opera comique. Sein Lohengrin, sein Ottavio oder sein Radames waren nicht minder perfekt wie sein Postillon von Lonjumeau. Dazu kam eine ausgedehnte Tätigkeit als Konzert- und Oratoriensänger.
Die Klugheit seiner Rollenwahl muß nicht weniger bewundert werden als seine stimmlichen Mittel und seine gesanglichen Fähigkeiten. Trotz mancher Verlockung seitens seiner Direktoren und Dirigenten ist er den schweren Heldenrollen Tristan und Siegfried aus dem Wege gegangen. Nicht wegen der erforderlichen Stimmkraft, die ihm wohl zur Verfügung gestanden hätte, sondern wegen der so gefährlich baritonalen Lage, die so manchen Tenor schon hat scheitern lassen. Viele Schallplatten haben die Stimme von Fritz Krauß in einem sehr weitgespannten Rollenkreis erhalten. Interessanter noch sind seine Funkaufnahmen. Wer die zahlreichen Aufnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen seines künstlerischen Wirkens mit namhaften Fachkollegen unserer Zeit vergleicht, wird feststellen müssen, wie fatal das Spezialistentum der Gegenwart die Ausdrucksmöglichkeiten und Nuancierungsfähigkeit heutiger Sänger eingeengt hat gegenüber dem Farbenreichtum gesanglicher Virtuosität, wie sie Fritz Krauß zu demonstrieren wußte.
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