Joyce DiDonato

In Nummer acht ist sie dann wirklich ganz und gar bei sich. Da tanzen die Koloraturen wie Stecknadelköpfe auf einem Reißbrett, da jauchzt das Rachenzäpfchen, da sprühen Witz und Erotik bis in kleinste lautmalerische Details hinein – etwa wenn Joyce DiDonato die Zwischenkadenzen von Contro un cor derart lasziv ausbuchstabiert, dass man das Gefühl hat, die größte Lust des Menschen bestünde in der Lustvermeidung. Immer wieder schiebt sie einzelne Töne portamento wie unters Vergrößerungsglas, als wäre die große Rossini-Sause je ernsthaft aufzuhalten. Und die Schluss-Stretta gibt ihrer Taktik Recht, indem es nach der lang heraus gezögerten Kapitulation motorisch noch einmal so schön schäumt und brodelt und explodiert.

Die Rosina aus dem Barbier von Sevilla ist nicht nur eine der Paradepartien der amerikanischen Mezzosopranistin, sie verbindet sich in ihrer Biografie auch mit einer wahren (!) Begebenheit, die kein PR-Agent listiger hätte erfinden können. In einer Repertoirevorstellung der Rossini-Oper in London bricht DiDonato sich das Bein – und singt weiter, anderthalb Akte lang, geschätzte 90 Minuten. Erst dann kommt der Arzt. Die restlichen Barbier -Vorstellungen singt DiDonato im Rollstuhl, und weil es sich mit einem Gipsbein nicht nur schlecht schauspielern, sondern auch schlecht stehen lässt, gibt sie ihren anschließenden Soloabend bei den Salzburger Festspielen 2009 (als Einspringerin für Rolando Villazón) kurzerhand im Sitzen. Ein Privileg, das vor ihr – wenngleich aus anderen Gründen – nur Luciano Pavarotti und Jessye Norman vergönnt war. Die »Preußin aus Kansas« war geboren.
Disziplin bis zum Zähnezusammenbeißen, eine blitzsaubere Technik, Fleiß, Ehrgeiz, Intelligenz und eine nicht nur schöne, weißgoldig schimmernde, sondern stilistisch variable, farbenreiche Stimme: DiDonato ist Profi um jeden Preis und darin ganz Kind ihrer Zeit. Vor allem aber liefert sie den singenden Beweis dafür, dass das Fach des Koloraturmezzos nicht ausstirbt. Als Marilyn Horne Ende der neunziger Jahre ihre Karriere beendete, schien kaum Nachwuchs in Sicht. Doch plötzlich drängten sie wieder mit Macht nach vorn, diese erwachsenen, selbstbewussten Frauen mit den lodernden Affekten: Cecilia Bartoli aus Italien, Vesselina Kasarova aus Bulgarien, Mariijana Mijanovic aus Serbien – und Joyce DiDonato (mit irischen Vorfahren) aus Prairie Village/Kansas. Händel, Rossini, Mozart und der italienische Belcanto stehen im Zentrum ihres Repertoires. Und wenn sie klug ist, bleibt es dabei.

Als »Yankeediva« zeichnet DiDonato den Blog auf ihrer Homepage , und dieses Augenzwinkern ist typisch. Die Hinterwäldlerin als Göttin, die Exotin als Pionierin – alle ihre CDs profitieren von diesem Entdeckerinnenpathos: Die Wahnsinnsszenen aus Händel-Opern (Furore), ihre Verbeugung vor Rossinis Muse Isabella Colbran, und wenn die 42-Jährige ihr neues Soloalbum Diva Divo nennt, dann fühlt man sich fast in die achtziger Jahre zurückversetzt, als Arbeitskreise wie »Frau und Musik« im alten Europa über die Ästhetik der Hosenrolle und andere Geschlechterzuschreibungen debattierten. Dass DiDonato mit solch hartleibigen Diskursen nichts am Hut hat, sagt schon das Cover: Mal trägt sie Perlenkette überm freizügigen Dekolleté, mal Dandy-Frack, hochgeschlossen. Frau bleibt Frau und Mann bleibt Mann? In der Tat scheint das Gemischte, Montierte von musikalischen Charakteren wie Glucks Sesto, Mozarts Vitellia oder Bellinis Romeo die Amerikanerin wenig zu interessieren. Die kleinen großen Unterschiede offenbaren sich ihr mehr historisch, und das ist die Stärke und die Schwäche der CD zugleich. Stärke, weil sie so alles Ideologische hinter sich lässt (sollte ein Cherubino je männlich, eine Ariane von Massenet je weiblich zu singen sein); und Schwäche, weil die Aufgabenstellung letztlich doch alibinös wirkt, eine Perlenschnur, an der sich nach Belieben aufreihen lässt, was so ins Stimmfach passt.
Gesungen wird trotzdem gut (was das Orchester der Oper Lyon unter Kazushi Ono nicht immer leicht macht). Verlässt DiDonato allerdings das 18. und frühe 19. Jahrhundert, bleibt sie auch einiges schuldig. Berlioz’ Marguerite (D’amour l’ardente flamme) fehlt bei aller Klangschönheit doch der Sinn für Nostalgie und die Tiefe der Empfindung, die Rolle des Komponisten in Strauss’ Ariadne verliert sich – enorm textverständlich! – allzu hektisch im geforderten Parlando-Stil. An beidem, so viel ist gewiss, wird DiDonato hart arbeiten.

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