Nicolai Gedda „Meine schönsten Operetten“

Gedda, Nicolai  Meine schönsten Operetten

Kann schon sein, dass es eine Menge Aufnahmen mit Nicolai Gedda gibt, aber eigentlich sind es trotzdem nie genug, denn Gedda – der diesen Juli übrigens 90 Jahre alt wird – ist bis heute einzigartig geblieben, weil er einfach alles göttlich singen konnte, und zwar in allen Sprachen. Besagter Grips im Kopf hat dem in Schweden geborenen Jahrhundertmann zu einem unter seinen Tenorkollegen ziemlich einzigartigen, unfehlbaren Stilgefühl verholfen, mit dem er automatisch immer den richtigen Tonfall getroffen hat, ob als Don José in „Carmen“, als Mozart-Held, als tiefrussischer Lieder-Sänger oder eben in der Operette.

Wenn wir mal von Richard Tauber einerseits und Fritz Wunderlich andererseits absehen, die jeder in ihrer ganz eigenen Klasse spielen, ist Nicolai Gedda ganz sicher der wunderbarste Operettentenor des 20. Jahrhunderts gewesen. Das juckt nur heute leider fast niemanden mehr, weil nämlich die Operette trotz gegenteiliger Beteuerungen und ein paar Regietheater-Skandälchen, die auch schon wieder lange her sind, ein ziemlich totes Genre ist. Na gut, seien wir nicht so negativ und sagen wir: Die Operette liegt im Dornröschenschlaf. Auch schon traurig genug.

Auf den ersten Blick könnte man nun meinen, bei Warner Classics habe man neuerdings beschlossen, die schöne Leich Operette endlich wieder wachzuküssen. Eine dicke fette CD-Box haben sie dort jetzt nämlich Nicolai Gedda und seinen Operetten-Helden gewidmet, vorne drauf lächelt verbindlich unser Jahrhunderttenor in Pelzmütze und betresstem Rock, und drinnen findet sich ein ansehnlicher Stapel von zehn CDs, deren Titel, wie man jetzt im Verkaufssprech sagen würde, „die Herzen von Operettenfreunden höher schlagen lassen“.

Franz Lehárs „Land des Lächelns“ ist dabei, sein „Paganini“, der „Zarewitsch“ und „Der Graf von Luxemburg“ und dann, eben gehört, auch noch Straußens „Zigeunerbaron“, das alles mit der ersten Garde aus den goldenen Zeiten der Schallplattenoperette, sprich: den 60er und 70er Jahren, als Anneliese Rothenberger sich mit Betonfrisur im Fernsehen die Ehre gab – alle Ironie beiseite war die Rothenberger ja eine ganz großartige Sängerin, und sie ist denn auch bei dieser Gedda-Box vorneweg dabei: Rothenberger schmachtet im „Land des Lächelns“, Grace Bumbry ist eine saftige Saffi im „Zigeunerbaron“, Lucia Popp veredelt den „Grafen von Luxemburg“, und auch die Nebenrollen sind immer toll besetzt mit den damals üblichen, unnachahmlichen Verdächtigen: Kurt Böhme gibt den Borstenvieh-und-Schweinespeck-Gutsherrn oder den vertrottelten russischen Fürsten, Renate Holm die soubrettigen Cousinen, und das Symphonieorchester Graunke, Gott hab es selig, spielt unter Leitung von Willy Mattes.

Schön an der ganzen Unternehmung ist, dass es sich hier jeweils um Gesamtaufnahmen handelt – oder zumindest sowas Ähnliches; dass die Fassungen, die das Electrola-Label damals in den Siebzigern rausbrachte, stark gekürzt sind, kann man sich denken, und die Dialogszenen zwischendrin sind auch nur aufs Allernötigste beschränkt, aber man hat doch bei jeder Aufnahme so halbwegs eine Vorstellung vom Stück, und man erlebt Überraschungen an unbekannteren Ensemblestellen – wenn sich zum Beispiel im „Zigeunerbaron“ beim Auftritt der Zigeuner zeigt, was für ein raffinierter Atmosphären-zauberer der immer bloß als Walzerkönig abgetane Johann Strauß sein konnte. Solche Ensembleszenen machen einem bei der neuen Warner Classics Box mit Operetten-Gesamtaufnahmen Nicolai Geddas richtig Lust drauf, diese Stücke mal irgendwo in einer geistreichen Inszenierung erleben zu können, mit so grandiosen Sängern, wie sie hier versammelt sind.

Insofern ist diese Box mit Gedda-Operetten eine ausgesprochen verdienstvolle Tat, zumal man in schöner Retro-Manier auf die herrlich gestellten Original-Plattencover aus den 70er Jahren zurückgegriffen hat, bei denen man sich das nostalgische Grinsen nicht verkneifen kann. Aber, und dieses Aber ist ein sehr großes Aber: Wie man bei Warner mit diesen Preziosen umgeht, das ist schon erschreckend lieblos. Die scheinbare Luxus-Edition entpuppt sich nämlich bei näherem Hinsehen als Billigheimer – außer einem lauwarmen Textchen auf der Rückseite, in dem behauptet wird, dass dank Nicolai Gedda die Operette heute wieder eine Renaissance feiere – steile Behauptung, nebenbei – außer diesem Waschzettel also gibt’s keinerlei Textbegleitung, sprich: Booklet.

Was hätte man flankierend zum Operetten-Hörgenuss nicht alles wissen wollen und in einem Booklet versammeln können: Details zur Biografie und zur Stimme Nicolai Geddas, vielleicht ein Interview mit ihm, kurze Handlungszusammenfassungen der einzelnen Operetten, womöglich einen schönen, aufrüttelnden Essay zur Verteidigung der Operette, und, und, und … Fehlanzeige. Sollen die Leute doch googeln, kommt uns billiger, haben die Verantwortlichen bei Warner wohl gedacht. Und so kommt‘s dann auch: Dass das Finale des ersten Akts in Lehárs „Graf von Luxemburg“ eine irgendwie raffiniert konstruierte Situation darstellt, merkt man auch so. Was da genau passiert, muss man sich allerdings im Internet zusammensuchen: Fürst Basil Basilowitsch, so erfährt man dort, ist hinter der nicht standesgemäßen Opernsängerin Angèle her und will sie nun kurzfristig und zum Schein irgendeinen verarmten Adligen ehelichen lassen, was sie ebenfalls in den Adelsstand erheben und damit standesgemäß machen würde. Also bietet er dem Pleite-Grafen René von Luxemburg einen Haufen Geld unter zwei Bedingungen: Erstens Einwilligung in die Scheidung nach drei Monaten, und zweitens darf er seine Gattin nie zu Gesicht bekommen. Die beiden heiraten dann tatsächlich getrennt durch eine Papierwand, in die nur zum Zweck des Ringwechsels ein Loch geschnitten wurde. Dass sich die gegenseitige Anziehung zwischen dem Grafen und Angèle durch eine Wand aus Papier nicht aufhalten lässt, versteht sich – Lehár hat aus diesem Blind Date ein extrem charmantes Geplänkel gemacht, und mit Nicolai Gedda und Lucia Popp ist das hier einfach traumhaft besetzt. Nicolai Gedda und Lucia Popp führen vor, wie Operette gesungen werden sollte, wenn sie denn noch gesungen werden würde.

Ein paar von Geddas legendären Auftritten als Operettentenor hat Warner Classics nun also in einer Box mit fünf remasterten Gesamtaufnahmen versammelt, und das hätte eine sehr schöne Sache werden können, wenn man bloß die Ausgabe aufmerksamer und liebevoller gestaltet hätte – so ganz ohne Booklet kommt kein sinnliches Gesamterlebnis auf, und an diesem Ende zu sparen ist ziemlich sicher nicht die Zukunft der CD-Labels. Der Grund, wieso man sich diese etwas lieblose Kompilation trotzdem anschaffen sollte, hat zwar auf allen hier reproduzierten Seventies-Plattencovers ganz schlimme Pelzmützen oder Frauenmörder-Perücken auf dem Kopf, singt aber so, dass einem die Knie weich werden: Der amerikanische Sängerpapst Irving Kolodin schrieb mal: „Nicolai Geddas Anstrengungen sind darauf gerichtet, Probleme zu lösen – die der meisten anderen Sänger, sie zu umgehen.“

Operette ist ja bekanntlich ein ungeheuer schwierig zu singendes Genre, und die Art, wie Gedda dieses und andere Probleme löst, ist ganz einfach hinreißend. Weil er trotz seiner enormen Präsenz im Ausdruck nie als Rampensau rüberkommt, sondern die großen Sensationen im Kleinen stattfinden lässt. Geddas Gesangstechnik ist frappierend, aber man hört nichts von ihr – so soll es sein, und so werden dann auch tausendmal und bis zum Abwinken bekannte Greatest Hits ganz unverhofft noch mal zur Neuentdeckung.

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